Sohn als Partnerersatz?

Zorn

© Evelyn Worbs – Zorn

Wie ist es, wenn ein Sohn von der Mutter als Partnerersatz missbraucht wird? Gibt es so etwas überhaupt?

Ich bin ca. 7 Jahre alt, als  ich immer mehr erkenne, dass mir etwas fehlt. Meine Eltern leben mit uns 3 Kindern zusammen und mein Vater lebt hauptsächlich für seinen Beruf. Nimmt sich kaum Zeit für uns. Nur harte Arbeit zählt für ihn, das Beschäftigt sein. Gefühle sind was für Frauen – davor flüchtete er immer wieder. Für die Gefühle war meine Mutter zuständig – und diese zeigte sie auch deutlich. Sie machte sich fast immer Sorgen, hatte Ängste, Nöte und war so häufig traurig und weinte viel.

Und immer, wenn sie mit meinem Vater Probleme hatte, kam sie dann zu mir. Sie erzählte mir, dass der Vater wieder nicht pünktlich gekommen sei, daß er Absprachen nicht eingehalten habe, daß er ihr nicht zuhört, daß er sie nicht liebt, daß er ihr nicht hilft, daß er abends wieder in die Kneipe sei um zu trinken,  sie wieder allein läßt und noch vieles mehr. Richtig verstehen konnte ich das nicht, ich verstand nur, dass sie traurig war und ich sie trösten mußte, dass das von mir erwartet wurde.

Und dabei nahm sie mich immer in den Arm, wiegte mich, streichelte mich und sagte: Du bist mein kleiner Mann, du verstehst mich, du hilfst mir, du bist wenigstens da, du bist für mich mein ein und alles. Und das bleibt unser beider Geheimnis – niemand wird davon erfahren. Und mir machte das Schuldgefühle, denn ich liebe auch meinen Vater und er ist nicht schlecht.

Ich versuchte, so gut ich konnte, ihr zu helfen. Doch ich merkte auch, dass meine Bedürfnisse nach Liebe, nach Zuwendung, nach Anerkenntnis, nach Fröhlichkeit, Nähe und Geborgensein unerfüllt blieben. Dafür war kein Platz. Mutter brauchte mich und so lernte ich, meine Gefühle zu verstecken.

Das tue ich noch heute und Nähe zu erleben, fällt mir mehr als schwer – und lasse sie nur zu, wenn ich gerade die Kraft dafür habe, halte mir jedoch immer eine Fluchtmöglichkeit offen. Ich fühle mich immer noch schuldig. Gegenüber meiner Mutter, gegenüber meinem Vater – und gegenüber mir selbst.

Das ist ein Fall aus der Praxis, doch alles andere als ein Einzelfall. Kinder haben so oft herzuhalten für eine Erwachsenenrolle, die ihnen absolut nicht zukommt. In keinem Alter. Eltern sind und bleiben Eltern, Kinder sind und bleiben Kinder ihrer Eltern. Alles andere ist ein Missbrauch der übelsten Art. Sie nimmt den Kindern die Möglichkeit der eigenen Entwicklung. Und Schuldgefühle sich selbst und dem anderen gegenüber werden hierdurch reichlich aufgebaut. Schuldgefühle, die für ein ganzes Leben prägen können.

Herzlichst

Evelyn


7 Kommentare

  1. 1. C. Lilly

    Kommentar vom 16. September 2009 um 07:47

    Ja, so oder ähnlich kennen das sicherlich sehr viele … ob ich 7 war, erinnere ich nicht mehr. Meine Erinnerungen beginnen später – und ich bin auch nicht männlich, sondern weiblich. Doch trotzdem war es meine Mutter, die diese Dinge zu mir sagte – und bei mir hat es Fluchtgefühle ausgelöst … ich wollte nur noch weg.
    Heute bin ich erwachsen, und ich habe eine Menge Dinge erlebt und erfahren, die mit Gewalt zusammenhängen – auch mit Grenzüberschreitungen … denn meine Grenzen waren immer sehr weich … ich denke an Wasser.

    Was ich beim Lesen des Blogbeitrages spannend fand, ist die Wiederholung meiner Überlegung in den letzten Tagen: Warum macht sich jemand Sorgen? Wieso steht jemand vor dir/mir usw. und sagt: „Ich habe mir solche Sorgen gemacht?“

    Vielen Dank Evelyn, für diesen Blog … :–)))

    Herzlichst, C. Lilly

  2. 2. admin

    Kommentar vom 17. September 2009 um 02:04

    Liebe C.
    Danke für Deine Nachricht. Ich freue mich sehr, wenn Du hier Anregungen findest. Ja, mit den Grenzen ist es so eine Sache für sich. Immer wieder neu auf sich selbst zu achten, kann am Anfang eine Herausforderung sein. Doch je mehr wir üben, um so mehr steigt unser Selbstwert und dann ist es leichter, Grenzen zu setzen. Für sich selbst einzustehen, seine Bedürfnisse und Gefühle zu achten. Viel Freude beim Üben …
    Liebe Grüße

  3. 3. Reinhold W

    Kommentar vom 26. September 2009 um 11:47

    Solche oder ähnliche Fälle sind mir schon mehrere in meinem Leben begegnet. Eine dieser Geschichten möchte ich an dieser Stelle erzählen. Aus Diskretionsgründen habe ich die Namen aller Beteiligten geändert.

    Die zentrale Figur dieser Geschichte ist Hans, ein junger Mann im Alter von 21 Jahren, der von seiner Mutter Rosa (~ 52J.) als „Partnerersatz“ missbraucht wird, solange er sich zurück erinnern kann. Er selbst sieht es allerdings nicht als Missbrauch sondern vielmehr als einen selbstverständlichen Liebesdienst für seine Mutter. Man ist ja schließlich eine Familie und da hat jeder seinen Aufgabenbereich zu erfüllen. Hans hat noch einen 2 Jahre jüngeren Bruder Josef. Dieser ist und war schon immer Mamas Liebling. Die beiden Söhne, jedoch hauptsächlich Hans, mussten schon als kleine Jungs Pflichten und Aufgaben übernehmen, die normalerweise in den Aufgabenbereich von Erwachsenen entfallen würden. Ihr biologischer Erzeuger hat die Familie verlassen als die beiden Jungs noch sehr klein waren.

    Rosa führt seit einiger Zeit eine Beziehung mit ihrem ursprünglichen Jugendverehrer und langjährigen Busenkumpel Karl, der in seiner grenzenlosen Liebe zu dieser Frau nahezu alles für sie tun würde, nur um in ihrer Nähe sein zu dürfen – sich als der Partner von Rosa betrachten zu dürfen. Karl habe ich persönlich kennen gelernt und ihn als sehr weichherzigen und lieben Menschen empfunden. Rosa lebt seit ~ 2 Jahren als Hausfrau und finanziert sich durch eine gute Abfindung ihrer ehemaligen Firma, wie auch aus einem nicht unbeträchtlichen Teil des Einkommens ihrer beiden Söhne.

    Hans hat seine schulische Laufbahn wie auch seine Berufsausbildung mit guten Noten gemeistert und gleichzeitig ein ordentliches Paket an häuslichen Pflichten übernommen. Dies wurde von seiner Mutter als ein selbstverständlicher Akt gesehen. Man ist ja schließlich eine Familie.

    Auch Rosa habe ich persönlich kennen gelernt und hatte von Beginn an den Eindruck, dass es sich bei ihr um eine selbstsüchtige Grazie handelt, die finanzielle Belange und eigene Wünsche über die Bedürfnisse ihrer Kinder und ihres Partners (?!) stellt. Das hat sich auch durch mehrere kleine Episoden, die ich erfahren durfte, im Nachhinein absolut bestätigt.

    Hans hatte kurz nach dem ich ihn kennen lernte eine Beziehung mit Frieda einer 50-jährigen Frau (selbst in Scheidung lebend) begonnen. Frieda ist selbst vom Leben gebeutelt, ihr Mann hatte sie und den gemeinsamen Sohn (3 Jahre jünger als Hans) wegen einer jüngeren Frau verlassen und mit allen juristischen Feinheiten bombardiert, die unser Recht möglich macht. Sie war verzweifelt, gedemütigt, hilflos und fühlte sich allein gelassen. Sie suchte eine Schulter an der sie sich ausweinen und anlehnen konnte.

    Hans und Frieda verstanden sich eine kurze Zeit lang ziemlich gut, bis schließlich (~ nach 2 Wochen) diese Beziehungskiste zur zusätzlichen Belastung für Hans wurde. Zuhause nörgelte Rosa, er kümmere sich nicht mehr ausreichend um seine häuslichen Pflichten und würde die Familie aufs Übelste vernachlässigen. In der Arbeit wurde er täglich von Frieda besucht (kontrolliert?). In seiner Freizeit, wenn es so etwas überhaupt gab, bombardierte ihn Frieda permanent, wo er denn sei und warum er so wenig Zeit mit ihr verbringe. Nun könnte man denken, all das wäre schon genug Psychoterror für einen solch jungen Menschen. Falsch gedacht, das Schicksal wollte es, dass Hans‘ Opa (der Vater von Rosa) schwer erkrankte und zum Pflegefall wurde. Hans liebte seinen Opa (er ist inzwischen verstorben) abgöttisch. Er fuhr täglich unmittelbar nach Dienstschluss zu seinem Opa und kümmerte sich auch dort um alles Notwendige. Der Opa wäre normalerweise ein Fall für eine Pflegestation gewesen, wollte aber keinesfalls in einem Krankenhaus sterben. Zu diesem Zeitpunkt wusste noch niemand, dass er ein paar Monate später tatsächlich sterben sollte. Es hätte sich laut Arztbericht noch Jahre hinziehen können, bis der alte Mann endlich von seinen Leiden befreit gewesen wäre. Umringt von fordernden Menschen in seinem Privatleben verletzte Hans zunehmend seine beruflichen Pflichten. Kam öfter zu spät zur Arbeit, erklärte dies mit offensichtlichen Ausflüchten und hatte damit noch zusätzlich Probleme mit seinem Chef. Nun war das Maß voll! Hans zeigte erste psychische Auffälligkeiten (Depression + Schlafstörungen) und begab sich in die Hände eines Psychiaters, der ohne die notwendige Sorgfalt und Anamnese mit der chemischen Keule winkte. Er verschrieb Hans Psychopharmaka (mit Suchtpotential) und meinte er solle diese erst einmal für die nächste Zeit einnehmen. Wie ich erfahren durfte haben die notwendigen Therapiesitzungen, wenn überhaupt, dann nur in sehr beschränktem Maße stattgefunden (~ 3 Sitzungen in 3 Monaten).

    Etwa zu diesem Zeitpunkt wurde ich in Hans Geschichte eingeweiht. Ich nahm mir den jungen Mann zur Brust und machte ihm zunächst einmal klar, dass er das Opfer ist und nicht die jammernde Meute, die er am Hals hatte. Ich erklärte ihm, dass es nicht selbstverständlich ist, dass man ihm von allen Seiten ständig 100%-ige Solidarität und Verfügbarkeit abverlange. Ich riet ihm, sich doch erst einmal auf sich selbst zu besinnen, sein junges Leben auch einmal zu genießen und nicht nur immer den Hampelmann für all die Parasiten an seiner Seite zu spielen. Weiterhin machte ich ihm klar, dass es sein Recht sei, die niemals erlebte Jugend erst einmal auszuleben. Dafür sei es wichtig sich von der Mutter zumindest insofern zu lösen, in dem er sich eine eigene Wohnung sucht und zunächst einmal zu sich finden soll und gab ihm gleichzeitig zu verstehen, wenn er jemanden zum Reden brauche könne er sich jederzeit an mich wenden. Meine Frau wandte sich zur gleichen Zeit an Rosa und versuchte ihr klar zu machen, dass Hans nun langsam auch einmal sein eigenes Leben beginnen sollte und sie ihm dafür auch den entsprechenden Spielraum einräumen sollte. Dies gelang leider nur partiell. Hans fing nach mehreren Gesprächen an zu erkennen, dass es da noch eine Person in seinem Leben gab, die Anspruch auf Erfahrung, Entfaltung und Selbstbestimmung hat: IHN SELBST! Er fing an seiner Mutter klar zu machen, dass er sich eine Wohnung suchen wird und von nun an auch seinem eigenen Leben etwas mehr Raum für Entfaltung zu gestatten. Es war wie ein kurzes Aufflackern einer Kerze im Wind, das sich leider nach kurzer Zeit wieder ins Gegenteil verkehrte.

    Der Einfluss der Mutter ist so stark, dass man Hans nicht wirklich aus diesem Teufelskreis befreien kann, wenn er nicht selbst einsieht, dass er sich von nun an vorzugsweise sein eigenes Leben aufbauen sollte.

    Leider haben sich trotz aller Mühen und Anstrengungen vor kurzem erneut die alten Muster der „Unzuverlässigkeit“ in der Arbeit manifestiert welche nun mit großer Sicherheit zur Kündigung führen werden.

    Die Firma hatte ihn bereits abgemahnt für mehrmaliges zu spät kommen. Der Chef (auch ihn kenne ich) zeigte für mehrere Monate lang ein sehr geduldiges und verständnisvolles Verhalten. Doch jetzt ist er an einem Punkt angelangt, an dem er die Problematik mit Hans als geschäftsschädigend ansieht und keine weitere Chance mehr einräumen möchte. Hans wird demnächst arbeitslos sein. Solange er nicht selbst das Ruder in die Hand nimmt und steuert, wird sich wahrscheinlich auch keine wahre Veränderung zum Positiven in seinem Leben einstellen.

    Was soll man hier machen? Wie kann man diesem jungen Menschen helfen? Ohne seine Mithilfe ist der beste Helfer hilflos. Ich sehe in diesem lieben jungen Kerl eine tickende Zeitbombe. Irgendwann wird er sich befreien, und ich hoffe nicht mit einer Gewalttat gegen sich oder andere.

    Er ist nicht psychisch krank! Er ist ein Opfer von selbstsüchtigen und ignoranten Mitmenschen aus seiner unmittelbaren Umgebung. Würde ich an dieser Stelle versuchen mir seine Mutter Rosa zur Brust zu nehmen (im positiven Sinne), würde das mit großer Sicherheit dazu führen, dass er sich auf die Seite seiner Mutter schlägt. Sie hat es schon von jeher verstanden sich als das Opfer darzustellen, das die volle Aufmerksamkeit ihrer Söhne beanspruchen darf und kann. Und dies wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit. Wo führt das hin? Was kann man tun, ohne die Privatsphäre dieser Familie zu verletzen?

  4. 4. admin

    Kommentar vom 29. September 2009 um 15:45

    Lieber Reinhold, ich kann Deine Wut und Deine Verzweiflung gut verstehen. Man möchte helfen – doch die Hilfe wird abgelehnt. Sie wird, und das ist meine Erfahrung, auch erst dann angenommen, wenn der „Preis“ zu hoch wird, den Derjenige bislang bereit war zu zahlen. Für mich ist es immer wieder so, daß ich bei mir hinsehe, was der Hintergrund für meine Reaktion ist. Weil, solcherlei Themen haben auch immer mit uns selbst zu tun. Da wird etwas „angetiggert“, was bei mir im Dunkel liegt, was ich verdrängte. Und was hier die Beteiligten anbelangt, so bleibt wohl im Moment nur übrig, sie so anzunehmen, so wie sie sind. Hilfe anzubieten, doch dem anderen die Wahl zu lassen, sie anzunehmen oder sie auszuschlagen.

  5. 5. Reinhold W

    Kommentar vom 30. September 2009 um 08:29

    Genau das habe ich getan. Ohne den freien Willen des Betroffenen ist nichts zu machen.

    Liebe Grüsse

  6. 6. Andrea H.

    Kommentar vom 8. Oktober 2009 um 09:44

    hans fühlt sich ohnmächtig und hat angst. er ist sich seiner potentiale nicht bewußt und hat angst die „liebe“ seiner mutter zu riskieren, indem er eigene wege geht. es nutzt nichts, ihm zu sagen, was er machen soll. der einfluss seiner mutter ist übermächtig, er hat nie gelernt, für seine eigenen bedürfnisse zu sorgen.
    ich glaube am besten wäre eine art selbsthilfegruppe, wo er langsam ein anderes selbstbewußtsein entwickeln kann. gibt es sowas? er kann diese situation nur selbst ändern. „guter rat“ von außen und kritik an der situation kann eher noch dazu führen, daß er das gefühl hat, seine mutter noch mehr „beschützen“ zu müssen, wie er das gelernt und sein leben lang gemacht hat. das lässt sich auch nicht von heute auf morgen ändern.
    es ist schwierig, sich unter der „beobachtung“ von wohlmeinenden bekannten zu sehen, weil man sich in zugzwang fühlt, man ist aber nach so einer langen geschichte – und hans hat keine „beziehungsleben“ vor seiner mutter, auf das er zurückgreifen könnte – nicht in der lange, von einem moment auf den anderen alles anders zu machen. deshalb ist unabhängige hilfe, also eine familientherapie oder eine selbsthilfegruppe besser, die hans‘ persönlichkeit stärkt und wo er kraft tanken kann, selbst die richtigen schritte zu tun, in der zeit, die für ihn richtig ist.
    die beste hilfe, die reinhold hans geben kann ist meiner ansicht nach, ihn zu motivieren, sich nicht mit seiner situation abzufinden und sich hilfe zu suchen.
    die intervention von bekannten der familie („zur brust nehmen“) kann als bedrohung empfunden werden. der impuls zur veränderung wird durch den leidensdruck von hans kommen und dann ist es wichtig, daß man ihm hilft, den für ihn richtigen weg zu finden und ihm hilfsmöglichkeiten anzubieten, die er annehmen kann – oder nicht.

  7. 7. Reinhold W

    Kommentar vom 9. Oktober 2009 um 09:15

    Ja ein typischer Kraftausdruck „zur Brust nehmen“. Blöd! Es ist auch nicht so, dass ich mir jemanden in diesem Sinne zur Brust nehmen würde, sondern einfach versuchen zu reden, Knoten auflösen, eher in diesem Sinne zu verstehen, allerdings kann ich den Standpunkt mit der Selbsthilfegruppe (sofern es eine gibt, wäre schön) nur unterstreichen, das ist bestimmt das
    Vernünftigste.