Gib mir den Autoschlüssel
28. September 2009 von admin | kein Kommentar
Alkohol spielt – heute mehr denn je – eine große Rolle in unser aller Leben. Mal sind die Auswirkungen still und leise, manches Mal laut und heftig. Verkehrsunfälle, Komasaufen und vieles mehr gehören mittlerweile zum Alltag. Doch wie wirkt sich der Alkohol innerhalb der Familie aus? Lesen Sie die Erfahrung eines ca. 9 bzw. 10 jährigen Jungen:
Meine Mutter ist vor gut einem Jahr gestorben. Mein Vater, den ich bislang maximal nur am Wochenende sehen durfte, zog jetzt in unsere Wohnung. Dies war für mich eine große Umstellung und anfangs auch eine große Freude. Mutter hatte mich gern verwöhnt, kochte, spielte mit mir, nahm Anteil an meinen Erlebnissen und ich konnte jederzeit zu ihr kommen. Und genau das erwartete ich nun auch von meinem Vater.
Doch bei meinem Vater war es anders. Er ist Geschäftsmann und hatte sehr, sehr häufig auch Termine am Abend bzw. in der Nacht. Wenn ich dann am Morgen zu ihm ging, roch er stark und ekelig. Außerdem passierte es ihm immer öfter, daß er vergaß, mich rechtzeitig zu wecken, mir Frühstück zu machen und zur Schule zu schicken. Und ich sah, wie er häufig Bier trank, Wein, Schnaps. All das kannte ich bislang nicht von bzw. bei ihm.
Und ich nahm immer mehr seine Stimmungsschwankungen wahr. Von total aufgekratzt bis hin zu nicht wissen, wo er gerade ist. Und die eine Nacht war es besonders schlimm. Er kam schon angetrunken nach Hause um sich umzuziehen und wieder zu einem „seiner Nachttermine“ zu fahren. Ich nahm ihm den Autoschlüssel weg. Ich hatte große Angst um meinen Vater. Davor, daß er einen Unfall hat und ich dann ganz allein bin. Heftiger Streit entwickelte sich zwischen uns. Meine Tränen flossen – doch ich war ganz hartnäckig und sagte Nein.
Mein Vater war so wütend und zornig, daß er mir zuletzt ins Gesicht schrie „Gib mir sofort den Autoschlüssel. Wenn Du mir nicht sofort den Autoschlüssel gibst, dann habe ich keinen Sohn mehr, dann komme ich nicht mehr wieder, dann kannst Du zusehen, wie Du klar kommst!“ Er baute sich ganz dicht vor mir auf und ich hatte so große Angst, ihn zu verlieren. Nicht mehr von ihm geliebt und allein zu sein. Und so gab ich ihm den Autoschlüssel, ging in mein Zimmer und weinte. Weinte bitterlich.
Das ist nur eine von vielen Erfahrungen, die ich in Verbindung mit Alkohol machte. Ich entwickelte für mich ein übergroßes Kontrollverhalten, nur um mich zu schützten. Misstrauen ist heute mein ständiger Begleiter.
Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie diese Zeilen lesen? Solche Sätze, solche Erlebnisse prägen! Sie sinken ganz tief ins Unterbewusstsein herein und sind ein Leben lang aktiv; so lange, bis wir den Mut aufbringen, uns diesen Erinnerungen zu stellen, sie anzunehmen und so aufzulösen, damit sie keinen Platz mehr haben, unser Leben zu bestimmen.
Herzlichst
Mentorin auf Zeit
Nachtrag:
Eventuell interessiert Sie ja auch dieser Artikel:
„Den ersten Alkohol schenken oft die Eltern aus“