Krisenhäuser
16. September 2011 von admin | kein Kommentar
Viel wird gesprochen von der Verschwendung von Steuergeldern, von Sozialstaat und vielem mehr. Schimpfen ist leicht. Doch wer schaut von uns hinter die Kulissen? Es gibt viele Institutionen, die im Notfall helfen. Sei es durch ambulante Betreuung, Wohnen für Erwachsene, Übergangshäuser, Krisenhäuser für Männer bzw. Frauen, Krisenhäuser für Männer und Frauen, Häuser, in denen Drogen verboten sind, wiederum gibt es auch Häuser, die auch Drogenabhängige aufnehmen. Die Beratung bzw. Betreuung ist meist ein Hilfsangebot bei der Beratung und Unterstützung mit dem Zielen:
- die Aufarbeitung der Begleitumstände der drohenden oder der bestehenden Wohnungslosigkeit,
- nachhaltige Sicherung der Wohn- und Einkommenssituation
- Sicherheit im Umgang mit Geld
- Reintegration in Arbeit bzw. Sicherung des Arbeitsplatzes
- Entwicklung, Widerherstellung und Festigung der familiären und sozialen Kontakte
- Erkennen von persönlichen Fähigkeiten und Stärken
- Befähigung zu einem selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Leben
Bei Bedarf Vermittlung an weiterführende Hilfsangebote. In der Regel richten sich diese Institute nach den §§ 53/54 bzw. 67/68 ff. SGB XII. Soweit die Theorie.
Ich hatte im Rahmen eines Praktikums Gelegenheit, ein Krisenhaus für Frauen kennen lernen zu dürfen. In solch einer Kriseneinrichtung sind Betreuerinnen tätig, die u.a. den Berufen der Sozialpädagogen, Sozialarbeiter oder ähnlichen angehören. Es wird ein intensives Aufnahmegespräch geführt und die Kostenübernahme bei den zuständigen Behörden beantragt. Diverse Verträge sind zu unterzeichnen, und ganz besonders wichtig ist die Hausordnung, die von allen Bewohnern einzuhalten ist. Regeln bestimmen das Leben in diesem Haus und wer dagegen verstößt, wird mit Sanktionen belegt, die bis hin zum Auszug führen können.
Wer findet den Weg in solche Kriseneinrichtungen?
Hier waren ganz unterschiedliche Frauen mit ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen anzutreffen:
- Frauen, die ihre Wohnung verloren hatten
- Frauen, die von ihren Männern geschlagen bzw. seelisch missbraucht wurden
- Frauen, die schwanger waren und von dem zukünftigen Vater der Wohnung verwiesen wurden
- Frauen (Mädchen), die aus ihrem Elternhaus weggelaufen sind
- Frauen, die drogenabhängig von der Straße kamen
- Frauen, die nach einem Entzug ohne Wohnung da standen
- Frauen, gerade aus dem Gefängnis entlassen …
Es waren Frauen aller Altersklassen und aller Nationalitäten dabei, von 18 bis 62 Jahre. Frauen, die nichts hatten als das, was sie am Körper trugen oder ihre restliche Habe in Plastiktüten mitbrachten. Und so unterschiedlich sich die Lebensentwürfe zeigten, so unterschiedlich gestaltete sich auch das Leben in der Zwangsgemeinschaft. Es gab nette, praktisch eingerichtete Ein- bzw. Zweibett-Zimmer, eine gemeinsame Küche, Aufenthaltsraum sowie Waschküche. Sämtliche Räume waren von den Bewohnerinnen selbst sauber zu halten.
Die eine Frau hatte mehr Ordnungssinn als die andere, die eine kochte dies, die andere jenes. Putzen war immer ein Thema zwischen den Mädels. 😉 Die Temperamente und Mentalitäten der jeweiligen Frauen führten immer wieder zu Spannungen, die über den „normalen“ Zickenalarm hinaus gingen. Welch Wunder, hatte doch jede von ihnen ihre eigenen Erfahrungen mit Leid gemacht. Und es gab in diesem Haus eine Betreute, die insbesondere die jüngeren zur Prostitution animierte, ohne daß die Betreuerinnen eingriffen, obwohl das ihnen bekannt war. Diebstahl innerhalb und außerhalb des Hauses gehörten zur „Normalität“ …
Was wird geleistet in einem Krisenhaus?
Polizeiliche Anmeldung ist der erste Schritt, da wird sehr streng drauf geachtet. Dann der Weg zum JobCenter, um die Grundsicherung zu beantragen. Und das Suchen und Finden einer angemessenen Wohnung, einer Wohngemeinschaft, einem betreuten Einzelwohnen, einer weitergehenden Betreuung z.B. bei Drogenentzug. Dies möglichst zugeschnitten auf die Situation der jeweiligen Frau. Und wenn glücklicherweise eine 1-Zimmer-Wohnung gefunden war, wurden die Betreute auch sofort aus dem Haus in die neue Wohnung entlassen. Der Job des Krisenhauses war damit erfüllt.
Die Wohnungen waren unrenoviert, ohne Einrichtung, ohne Bett, ohne Bettwäsche, ohne Handtücher, ohne irgendetwas vor den Fenstern, ohne Hausrat … Sicherlich, es wurden Anträge an das JobCenter gestellt auf Kostenübernahme für die Erstausstattung. Doch was und vor allem wann bewilligt wird, steht in den Sternen. Ist es dann ein „Wunder“, wenn bestimmte Haushaltsartikel bzw. Handtücher etc. auf einmal im Haus fehlen?
Es gab Frauen, die zwar in diese Wohnung „einzogen“ … doch dann nie wieder gesehen wurden. Die anderen Punkte blieben meist unbeachtet … Im Sinne des Gesetzgebers alles rechtens.
Die Menschen bekommen Essen und Trinken – dank der Tafel, die regelmäßig vor fuhr und Brot, Kuchen, Obst, Gemüse, Kartoffeln etc. lieferte. Sie haben ein Bett, können duschen und miteinander reden. Doch seelische Betreuung? Nein, weit gefehlt. Wichtig sind die Regeln, die einzuhalten sind, mit nur geringem Spielraum. Und diese Regeln wurden wöchentlich ergänzt. Medikamente sind abzugeben, Post hat in Gegenwart der Betreuer geöffnet zu werden, sie wird dann in Kopie – oder auch im Original – in den jeweiligen Akten abgelegt. Diese Betreuung erfolgt rund um die Uhr in drei Schichten. Und die Übergabe der „Akten“ von einer Schicht zur nächsten wird von den Betreuern so wichtig genommen, daß die fest geregelten Sprechzeiten dadurch immer wieder zu Lasten der Betreuten ausgesetzt sind. Macht und Machtmissbrauch durch die Betreuer sind hier alle Türen geöffnet und die eine oder andere machte davon auch großzügig Gebrauch.
Und regelmäßig wurde Druck ausgeübt durch das weitergehende Schüren von Angst bzw. Ängsten. Das war Mittel zum Zweck, um die Frauen zum „Handeln“ zu bewegen.
So ein Haus ist wirklich eine Hilfe … doch es nutzt insofern wenig, wenn ein Zettel angebracht wird: Am Tage X ist eine Psychologin im Hause und hat dann und dann Termine frei. Diese Psychologin hatte es nie nötig, sich überhaupt einmal vorzustellen. Die Frauen trugen all ihre Probleme weiter mit sich. Keine der Frauen nahm diesen einmaligen Termin wahr.
Und die Frauen, die sehr aktiv sich zeigten, die Situation für sich positiv zu verändern, den wurden Steine in den Weg gelegt, von den Betreuern, von den Behörden. Da geht eigenes Sicherheitsdenken sowie Schubladendenken vor statt dort Hilfe zur Verfügung zu stellen, wo sie dann wirklich gebraucht wird. Und das ist schade, denn die meisten finden den Weg dadurch nicht heraus aus dem Behördendickicht.
Was ich für mich mitgenommen habe?
Dinge nicht mehr einfach wegzuschmeißen, wenn ich sie nicht mehr brauche, sondern zu sehen, wem kann ich diese Sachen bestmöglich zukommen lassen.
Aufzuhören zu urteilen über Menschen mit anderen Lebensentwürfen, denn da bestehen Lebenswege, die kaum vorstellbar sind.
Zuzuhören, wie ich es auch in diesem Hause tat, wirklich ins Gespräch mit den Menschen zu gehen bzw. auch zu kommen.
Dankbarkeit, daß es solche Einrichtungen gibt. Denn … wir alle können von heute auf morgen in eine solche Situation kommen. Eine für mich sehr bereichernde Erfahrung, die ich alles andere als missen möchte.
Über welche Erfahrung verfügen Sie bzw. verfügt Ihr?
Herzlichst
– Mentorin auf Zeit –