Gedankenspuren

Es ist die Liebe, die den einzelnen dazu befähigt, auch das schlimmste Ereignis zu akzeptieren, erst los- und dann hinter sich zu lassen.

In meinem Wohnzimmer hängt ein Bild. Blau eingerahmt, in stattlicher Größe, ein Original. Vor vielen Jahren war die Künstlerin, die es gemalt hat, meine Kundin und dieses Bild war ihr erstes, das sie als Gesamtkunstwerk fertiggestellt hatte. Es stand auf einer Staffelei in der Ecke ihres Wohnzimmers und strahlte.

Die Künstlerin, damals noch eine sehr junge Dame von knapp zwanzig Jahren, war verlegen als ich sie fragte, ob sie es verkaufe und zu welchem Preis.

„Nimm zwei Würfel und würfle. An die Zahl hängst du eine Null und das ist der Preis,“ sagte sie.

Ich gab ihr 500 DM (ja, das gab es mal!) und ließ das Bild rahmen und, wie gesagt, seit dem prangt es in meinem Wohnzimmer.

Missbrauch ist Gewalt ist der Titel dieses Blogs und immer lautet die Frage: Was ist Missbrauch und was ist Gewalt?

Immer wieder hört man, nicht nur in esoterischen Kreisen, den Ruf nach liebevollerem Handeln. „Love is all you need,“ sang schon John Lennon. Immer wieder hört man, Liebe und Toleranz seien das Wichtigste für eine funktionierende Gemeinschaft. Das scheint ein probates Mittel gegen Gewalt und Missbrauch zu sein.

Vor Jahren war ich Polizist und hatte Nachtdienst. Relativ früh am abend hatte ich einen kleineren Ermittlungsauftrag erledigt und war auf dem Weg zurück zum Revier, als ich auf einen Motorradfahrer mit seiner schweren Maschine aufmerksam wurde. In der vorangegangenen Schicht hatte es einen Rockerüberfall auf die Stadt gegeben und meine Aufmerksamkeit war natürlich entsprechend geschärft. Der Fahrer des Motorrades sah mich und gab Vollgas. In einem einzigen Augenblick war er verschwunden – und ich ließ ihn ziehen. Was hätte ich auch sonst machen sollen mit meinem VW-Bus? Ich setzte meine Fahrt zum Revier fort und kurz bevor ich ankam und aussteigen wollte, erhielt ich über Funk die Weisung, zu einem Unfall zu fahren. Ein Motorradfahrer sei gegen ein Schild geprallt.

Ob am Ende alles gut wird, hängt sehr davon ab, ob wir das, was war hinter uns lassen können.

Sie werden schon geahnt haben, dass es dieser Motorradfahrer war. Er hatte unter hoher Geschwindigkeit eine langgezogene Kurve nicht nehmen können und war gegen ein Schild geprallt. Er starb noch in derselben Nacht. Der Fahrer war gerade 16 geworden! Er fuhr, natürlich, ohne Führerschein ein großes Motorrad, dass er sich erst an diesem Tag gekauft hatte – vom Geld seiner Großmutter. Der Junge hatte ein paar Jahre zuvor ebenfalls bei einem Unfall seine beiden Eltern verloren und wuchs bei der Oma auf – die ihm nicht gewachsen war. Er hatte sie solange weich gekocht, bis sie ihm das Geld für das Motorrad gegeben hatte, das er so sehr  gewollt und das ihn dann in den Tod gefahren hatte.

Sind Missbrauch und Gewalt nicht Merkmale eines selbstzerstörerischen Handelns?

Als mein Kollege und ich der Großmutter die Nachricht vom tödlichen Unfall ihres Enkels überbrachten, brach ihr Herz – leise wie fallende Schneeflocken. Sie setzte sich still hin, kreidebleich und gab keine Antwort mehr. Sie blieb gebrochen, den Rest ihres Lebens. Da wo sie dem Druck ihres Enkels hätte standhalten sollen, konnte sie es nicht. Sie fühlte sich verantwortlich für den Tod des Jungen, weil sie seinem Drängen nachgegeben hatte.

War der Junge tödlich verunglückt, weil ihm seine Oma das Geld für ein Motorrad gegeben hatte, das er noch nicht fahren durfte und konnte? Warum werden manche Kinder misshandelt und andere nicht?

Das Bild in meinem Wohnzimmer – es hat mich beeindruckt vom ersten Moment an als ich es gesehen habe. Es heißt Gedankenspuren und ist heute mehr als zwanzigtausend Euro wert. Aber ich habe es nicht gekauft, weil ich Geld anlegte, oder weil ich wusste, dass es ein Treffer ist. Ich habe es gekauft, weil es mir gefallen hat, wie die Spuren auf dem Bild, die von einem Punkt ausgehen, irgendwie doch wieder zurück kommen zu ihrem Ursprung.

Ob am Ende alles gut wird, hängt sehr davon ab, ob wir das, was war hinter uns lassen können.

Ob am Ende alles gut wird, hängt sehr davon ab, ob wir das, was war, hinter uns lassen können.

Alles im Leben kommt zu uns zurück. Auf die eine oder andere Weise. Davon bin ich überzeugt. Es ist also weniger die Frage, warum mir passiert, was mir passiert. Entscheidend ist, was ich aus dem mache, was mir passiert. Das alleine entscheidet darüber, ob ich frei bin und mein Leben nach meinen bewussten Entscheidungen führen kann – unabhängig davon, was mir passiert.

Und hier kommt sie dann ins Spiel: Die Liebe! Es ist die Liebe, die den einzelnen dazu befähigt, auch das schlimmste Ereignis zu akzeptieren, erst los- und dann hinter sich zu lassen. Es ist die Liebe, die das Licht in die Dunkelheit eines schlimmen Schicksals bringt, in dem es den Gedankenspuren erlaubt, zur Sonne zu fliehen und von dort strahlend hell zurückzukehren.

Es ist unsere eigene Verantwortung, das Leben, unser Leben, zu schultern und das beste daraus zu machen – was auch immer das sein mag.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit 🙂
Raimund Kohl-Füchsle


1 Kommentar

  1. 1. Martin Oppermann

    Kommentar vom 2. März 2017 um 16:54

    Hallo erst mal.ich leide seit 2010 an einer metalose Vergiftung durch einen oberflächenersatz in der linken Hüfte .habe nur noch Schmerzen in allen gelenken und Muskeln. Mein Mund brennt nur mus nur Opiate schlucken die bringen gar nix. Mir geht es immer schlechter. Die Hüfte wurde ausgetauscht vor einem halben jahr. Kann mir wer helfen bitte ..

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