Tat-Kranke und Schuld-Partner (2/4)
23. Juni 2012 von admin | kein Kommentar
Der Tat-Kranke hält sich für ein Opfer. Das macht seine einzigartige Stärke aus. Opfer haben eine Trumpfkarte in der Hand: die Moral. Dem Schuld-Partner bleibt der Schwarze Peter: die Täterschaft, der Verstoß gegen die Moral. Das Opfer ist unantastbar, weil nicht verantwortlich. Die Krankheit kommt von außen – andere haben sie einem eingebrockt.
„Daß ich hier liege, habe ich dir zu verdanken“, ist ein Satz, der jedem, der für dieses Buch Interviewten, zu schaffen machte. Der Kranke „ist“ nicht krank. Er „wurde“ nicht krank. Er wurde krank „gemacht“.
Schuld sind die anderen, ist eine Haltung, die jeder kennt. Der Kollege ist schuld, daß man nicht befördert wird, der Partner, daß man ihm nicht vertrauen kann. Geht es um Krankheit, wird Schuldzuweisung durch ein falsches Verständnis von Psychosomatik begünstigt. Die wichtige Erkenntnis, daß psychologische Faktoren eine wesentliche Rolle bei den Funktionssteuerungen des Körpers spielen, hat vor allem die meinungsmächtigen Medien zu publikumswirksamen Schlagzeilen inspiriert:
Die Kollegen machen krank, die Schule macht krank, die Umwelt macht krank. Alles Krankheitsübel kommt von außen, ist die Message, und sie wird gerne gehört. Sie ist ein starkes Argument, die Opfer-Haltung des Tat-Kranken mit angelesenen „Erkenntnissen“ zu untermauern. Sie verstärkt die Schuldgefühle des Schulzd-Partners und läßt sich für viele Zwecke benutzen.
„Man weiß doch, daß die Psyche eine große Rolle bei Herzbeschwerden spielt“, sagt Anna W. im Gespräch. „So, wie ich meiner Mutter zugesetzt habe, bin ich mit schuld daran, daß ihr die Sorgen aufs Herz schlagen.“ Immer dasselbe Lied. Wie eine Platte, die einen Sprung hat, beschreibt sie ihr Verhältnis zur kranken Mutter. „Es war völlig egal, was ich tat oder nicht tat, es lag immer an mir, wenn es ihr nicht gut ging. Über Jahre hat sich nichts geändert. Wir sagten beide bei jeder Auseinanderzung dieselben Sätze.“
Eine Beobachtung, die den Kern trift.
In Opfer-Schuld-Beziehungen entwickelt sich nichts, die Beteiligten entdecken und entfalten sich NICHT.
Aus:
Krankheit als Waffe
Fortsetzung folgt …
Herzlichst
Mentorin auf Zeit