Kinder toben zu wenig

© Evelyn Worbs

© Evelyn Worbs

Die Techniker Krankenkasse ließ eine Forsa-Umfrage durchführen und dabei stellte sich heraus, daß Bewegungs- und Sprachtherapien mittlerweile immer mehr zur Tagesordnung von Schulkindern gehören.

Woran liegt das?

Eigener Fernseher, Gameboy und Handy gehören vielfach bereits zur „Standard-Ausstattung“ der Kids. Tauchen unsere Kinder immer mehr in die virtuelle Welt ein und lassen das reale Leben an sich vorbei ziehen?

Muß das in dieser Form sein? Was ist mit Sport und dem Austoben auf Spielplätzen? Was ist mit Fahrrad fahren, mit ausgelassenem Lachen und Frohsinn, mit Kunst, mit Basteln? Was mit ist Rennen, Toben, Springen … Selbst schwimmen können Kinder immer weniger; auch das spielerische Balancieren auf einem Bein kann kaum noch ein Kind.

Was fehlt, um sich in einem Sportverein aktiv einzubringen? Was ist mit Kräfte messen unter Gleichaltrigen?  Wo lernen sie, sich altersgemäß auseinanderzusetzen, Konflikte zu lösen und Respekt anderen gegenüber aufzubringen? Nur durch Verbote?

Sind wir empfindlich gegen Kinderlärm geworden? Haben Kinder angepaßt zu sein? Und wenn ja, an wen haben sie sich anzupassen? An uns Erwachsene? Kinder müssen auch lärmen dürfen, Kinder müssen auch Krach machen dürfen – wir waren in dem Alter genauso.

Natürlich, auch Rücksichtnahme dürfen Kinder lernen – doch ist das nur möglich, wenn sie auch ihr eigene Rücksichtslosigkeit erleben und erfahren dürfen – und ganz besonders unter Gleichberechtigten.

Da mutet es schon sehr seltsam an, wenn das Berliner Abgeordnetenhaus eine Änderung des Landes-Immionsschutzgesetzes beschließt und den § 6 mit folgenden Absatz 1 neu einführt:

„Störende Geräusche, die von Kindern ausgehen, sind als Ausdruck selbstverständlicher kindlicher Entfaltung und zur Erhaltung kindgerechter Entwicklungsmöglichkeiten grundsätzlich sozialadäquat und damit zumutbar…“

Angeblich haben „in jüngerer Zeit“ die Lärmschutzkonflikte wegen Kinderlärms zugenommen, so heißt es in der  Gesetzesbegründung.

Ich frage mich, wo bleibt die Toleranz, das Verständnis und die Erinnerung an die eigene Kindheit? Erinnern wir uns noch daran, welche Vorbilder es uns ermöglichten, Spaß zu haben, lebendig zu sein und trotzdem Respekt anderen gegenüber aufzubringen?

Ist es wieder möglich, hier der Jugend Vorbild zu sein?

Evelyn


1 Kommentar

  1. 1. Monika Kahrs

    Kommentar vom 4. Juni 2010 um 11:42

    Zunächst einmal: Erwachsene sind heute nicht empfindlicher gegenüber Kinderlärm als früher – die gängige Erziehungspraxis von Eltern hat sich jedoch grundsätzlich gwandelt.

    Wenn ich an meine eigene Kindheit zurückdenke, so hieß es spätestens um 15 Uhr: „Warum hast Du die Schularbeiten noch nicht fertig? Schuhe an und vor die Tür!“

    „Vor der Tür“ warteten schon meine Freunde auf mich, mit denen ich mich überall dort herumtrieb, wo es nicht erlaubt oder gefährlich war: Auf unbebauten Grundstücken, auf dem Bahndamm, im Stadtpark. Wir kletterten auf Bäume und schwammen im Baggersee, stritten und vertrugen uns, und im „Ernstfall“ hielten wir zusammen wie Pech und Schwefel. Wir machten Lärm – und rannten weg, wenn Nachbarn, Anlieger, oder auch der „Parkwächter“ mit seinem Hund uns drohten.

    Wenn einer dieser „Erwachsenen“ einen von uns Kindern erkannte und sich bei den Eltern über unseren Radau beschwerte, gab es einen Tag Hausarrest. Bei sehr schweren Verstößen, z.B. als es herauskam, dass das Baumhaus im Stadtpark mit Hammer und Nägeln, die ich meinem Opa aus der Werkstatt stibitzt hatte, gebaut wurde, auch mal eine ganze Woche. Das war eine Strafe, nicht der Normalzustand. Aber es lehrte uns, dass wir Erwachsenen gegenüber auch Rücksicht zu nehmen hatten und fremdes und öffentliches Eigentum zu achten.

    Kinder, die nach den Hausaufgaben im Haus blieben, zum Blockflöten und Klavierunterricht von den Eltern gebracht wurden, weil aus ihnen „etwas Besseres“ werden sollte, gab es auch damals schon. Und die sind auch damals schon jede Woche zum „Sonderturnen“ gegangen, weil sie Probleme bei Bewegung und Sport hatten. Dieses Phänomen ist also nichts wirklich Neues – nur die Anzahl dieser Kinder ist anscheinend gestiegen.

    Aber anstatt die Eltern zu therapieren, die ihre Kinder mit Computern und Gameboys „ruhigstellen“ und die ohnmächtig und getrieben von einer falschen Kindesliebe ihrem Nachwuchs absolut alles durchgehen lassen, wird nun Kritik geübt an denen, die sich durch eben diese Kinder belästigt fühlen, wenn sie denn das überbehütete Elternhaus verlassen.

    A.S. Neill, der Begründer von Summerhill und Vater der antiautoritären Erziehung hat einmal gesagt, dass das Recht des Kindes auf Selbstentfaltung dort aufhört, wo sich ein anderer Mensch dadurch beeinträchtigt fühlt.

    Vielleicht sollte man an dieser Stelle mal anfangen, sich über die Hintergründe von Kinderlärm und Toleranz desselben Gedanken zu machen …

    Herzlichst, Monika Kahrs

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